Zurück Home Nach oben Weiter

 

Eine Herausforderung an die Phantasie
Märchen
aus : Disability Righte Handbook for 1977

Es war einmal in einem fernen Land, da kamen mehr als tausend Rollstuhlfahrer zusammen und ließen sich in einem Dorf mit eigener Verwaltung nieder. Selten besuchten Nichtbehinderte dieses Dorf, so dass die Rollstuhlfahrer alle Bereiche ihres Lebens selbst kontrollierten. Sie fertigten mit speziellen Hilfsmitteln die Waren, die sie in ihren Geschäften verkauften, betrieben Schulen, Banken, Postämter, Transportwesen des Ortes usw. Die Tatsache, vom Rollstuhl aus das tägliche Leben zu meistern, war für sie das Normale. Sie sahen Rollstuhlfahrer auf dem Bildschirm und hörten sie im Radio. Nichtbehinderte Menschen waren selten zu sehen, wurden kaum verstanden. Die Rollstuhlfahrer entwarfen Gebäude, die ihrem körperlichen Zustand angepasst waren. So wurde es zur Regel, dass Türen 1,50 m und Zimmer bis 2 m hoch gebaut wurden. Diese Höhen wurden natürlich als Normen festgelegt. Jetzt war jedermann im Dorf glücklich; nach und nach wurden alle Barrieren überwunden. Diese kleine Gesellschaft hatte ihre Umwelt mit ihren Bedürfnissen in Übereinstimmung gebracht.

Eines Tages mussten sich einige Nichtbehinderte, ohne dass sie es selbst entscheiden konnten, in diesem Dorf ansiedeln. Natürlich war eines der ersten Dinge, die sie bemerkten, die Höhe der Türen. Ständig stießen sie mit ihren Köpfen an die Türkanten. Bald waren alle gezeichnet durch blaue Flecken an der Stirn. Sie gingen zu den Dorfärzten, die natürlich Rollstuhlfahrer waren. Bald beschäftigten sich die Rollstuhlfahrer-Ärzte, die Rollstuhlfahrer-Psychiater, ja selbst die Rollstuhlfahrer-Sozialarbeiter mit den Problemen der Nichtbehinderten. Die Ärzte verfassten Berichte über die Leiden und Schmerzen der Nichtbehinderten in der Gesellschaft. Sie sagten, dass die Prellungen und schmerzenden Rücken durch doppelt so häufiges Bücken verursacht würden. Die Ärzte meinten, diese nichtbehinderten Menschen litten unter dem "Verlust oder der Einschränkung der funktionellen Fähigkeit", welche eine Behinderung zur Folge hat, und sie in dieser Gemeinschaft zu Körperbehinderten werden lässt.

Es wurden schnell spezielle Hilfsmittel für die nichtbehinderten behinderten Mitglieder des Dorfes entworfen. Alle nichtbehinderten Behinderten erhielten besonders verstärkte Helme, die sie ständig tragen mussten sowie spezielle Hosenträger, die Halt gaben und gleichzeitig den nichtbehinderten Träger auf der Höhe seiner Rollstuhlfahrerkollegen gebückt hielten. Einige Ärzte schlugen vor, die Nichtbehinderten in Rollstühle zu setzen, einzelne dachten sogar an Amputationen, um die Nichtbehinderten auf die im Dorf übliche Höhe herunter zu bringen.

Die nichtbehinderten Behinderten hatten viele Probleme. Wenn sie Arbeit suchten, stellte sie keiner ein. Spezielle Experten mussten ausgebildet werden, um diese Probleme zu verstehen.

Als sich ein nichtbehinderter Behinderter als Fernsehmoderator bewarb, wurde eine spezielle medizinische Prüfung angeordnet, um festzustellen, ob er für diese Arbeit geeignet wäre. Er war es nicht. Durch die Hosenträger war er immer doppelt gebückt, so dass die Kamera nur den oberen Teil seines Kopfes zeigen konnte.
"Es ist wohl bekannt", schrieben die Rollstuhlfahrer-Ärzte, "wie schwierig es ist, mit den Nichtbehinderten zu kommunizieren, weil es nicht leicht ist, ihren Gesichtsausdruck zu erkennen und ihnen in die Augen zu sehen, wenn sie doppelt gebeugt sind."
Freiwillige Vereine wurden geschaffen, um milde Gaben zu sammeln, und viele Geschäfte und Kneipen hatten einen umgestülpten Helm mit der Aufschrift "Helft den nichtbehinderten Behinderten!" an der Kasse angebracht, wo die Kunden ihr Kleingeld lassen konnten.

Es gab auch ein kleines Modell in der charakteristischen Pose der nichtbehinderten Behinderten - den Körper doppelt gebeugt - mit einer Sammelbüchse für weitere Spenden.

Aber eines Tages, als die Nichtbehinderten zusammensaßen und ihre Probleme diskutierten, merkten sie, dass sie von den Rollstuhlfahrern nie selbst um Rat gefragt worden waren. Sie erkannten, dass es Lösungen für ihre Probleme geben könnte, die den Rollstuhlfahrern aber gar nicht einfallen konnten, weil sie eben nicht in ihrer Lage waren. Es fiel diesen nichtbehinderten behinderten Menschen ein, dass die Ursache ihrer Schwierigkeiten vielleicht eine soziale Lösung hätte - sie schlugen vor, die Tür- und Zimmerhöhen zu verändern. Sie bildeten einen Verein, um für ihre Gleichberechtigung zu kämpfen. Natürlich dachten einige der Rollstuhlfahrer, die nichtbehinderten Behinderten könnten ihre Behinderung nicht akzeptieren und sich ihr nicht anpassen und reagierten aggressiv. Die nichtbehinderten Behinderten argumentierten sogar, dass vielleicht, aber nur vielleicht ihre Behinderung durch Veränderungen überwunden werden könnte und verschwände ...

 

Zurück Home Nach oben Weiter